Agiles Coaching steht am Scheideweg

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Die Profession des agilen Coachings muss sich entscheiden. Soll ein agiler Coach

  • das Team in der (Weiter-) Entwicklung einer Haltung unterstützen, die funktionierende Produkte verbindlich ausliefert und rasch einem Kundenfeedback anpasst.

oder eher

  • für gute Arbeitsbedingungen (Stichwort feelgood) sowie konfliktfreie Kooperation und gutes Klima (Stichwort happy team) sorgen. Natürlich ist dieses entweder – oder ein von mir konstruierter Gegensatz, denn beides ist wichtig für produktives agiles Arbeiten. Ich will mit dieser Konstruktion den Finger in die Wunde legen, denn ich finde, dass agiles Coaching zum feelgood management verkommt!

Regelmäßig werde ich als Supervisor in Gruppen von agilen Coaches eingeladen und erlebe in den letzten Monaten eine deutlichen Schwerpunkt der Beratungen in Richtung feelgood und happy team.
Höhepunkt war eine Diskussion, in der über 3/4 der Anwesenden es richtig und professionell fanden, sich mit einem Team „gegen den Kunden und dessen überzogene Vorstellungen“ zu solidarisieren. Mein ironisch gemeintes Feedback, dass man Harmonie im Team natürlich am besten durch ein gemeinsames Feindbild herstellt, wurde dann auch noch als wertvoller Input missverstanden.
Abgesehen davon, dass wirksame Coaches nie die professionelle Distanz verlieren, indem sie sich solidarisieren, finde ich es bedenklich, wenn sich die Prioritäten eines agile Coach verkehren. Coaching ist die Arbeit eines professionellen Fremden (The Professional Stranger. An Informal Introduction to Ethnography) und unterscheidet sich deswegen von kollegialer Hilfsbereitschaft. Agilität konzentriert sich auf Lieferfähigkeit und Kundenwunsch und fokussiert sich eben nicht auf Einstimmigkeit, gute Stimmung und Obstkörbe.

Als eines der frühen Mitglieder eines Business Coaching Verbandes (DBVC – Olaf Hinz), befasse ich mich seit fast 20 Jahren mit der Professionsbildung im Coaching. Denn es ist wichtig, Professionsstandards zu leben, damit Kunden auf die Leistung von Coaches vertrauen können. Im Business Coaching ist da z.B. der
Roundtable – Coaching zu nennen. Damit der Wert von agilem Coaching nicht verwischt und ausgedünnt wird, wünsche ich mir auch dort eine Diskussion über die Profession. Was ist wirksames agiles Coaching?

  • In der Trainer-Variante hat es seinen Ursprung im angelsächsischen Verständnis von Coaching im Sinne eines (Sport-)Trainers. In dieser Ausprägung geht agiles Coaching davon aus, dass es bewährte Methoden gibt, die eingesetzt werden müssen, um bestimmte Ziele zu erreichen. Der agile Coach „treibt“ also in eine bestimmte, vorher festgelegte Richtung, meist den Benchmarks einer Branche (aktuell sind dies etwa Google, Tesla oder Spotify), und ist mit seiner Unterstützung vor allem auf Tempoverbesserung aus.
  • Häufiger anzutreffen ist die Berater-Variante des agilen Coachings. Hier steht die Vermittlung von Regeln, (zertifizierten) Standards und Vorgehensmodellen im Vordergrund. Der agile Coach, der in der Berater-Variante auch oft ein Scrum Master ist, sorgt vor allem dafür, dass sich die Organisation an die Regeln/das Modell hält.
  • Agile Coaches, die in der Variante Moderation/Coaching arbeiten, kommen dem von mir genannten Business Coaching am nächsten. Sie unterstützen als Begleiter, d.h. ohne Fokus auf Benchmarks oder Zertifikate, die es einzuhalten gilt. Mit Erfahrungswissen, Methodenschatz und einer moderierenden Haltung unterstützt ein agiler Coach in der Variante die Entwicklung einer Haltung, die Lieferfähigkeit und den Kundennutzen ins Zentrum stellt.

Verkommt agiles Coaching also zum feelgood management und entfernt sich vom Zweck des agilen Arbeitens? Ich bin gespannt auf Eure Sicht auf meine Thesen, die ich auch beim PM Camp Hamburg zur Diskussion stellen werde.


Viele Grüße
Euer Olaf Hinz

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